Was ist Übersetzen in die Leichte Sprache?

Immer öfter werden von unserem Berufsverband, dem Bundesverband der Dolmetscher und Übersetzer, Workshops zum Thema „Übersetzen in die leichte Sprache“ angeboten. Der Bedarf wächst demnach stetig. Doch eine richtige Vorstellung von dem, was Leichte Sprache eigentlich ist – und welche Anforderungen die Übersetzung an unsere Kollegen stellt – hatten wir bisher nicht.

Die Geschichte der Leichten Sprache

Bereits in den 1970er Jahren haben Menschen mit Lernschwierigkeiten in den USA zusammengefunden, um für Ihre Rechte sowie mehr Selbstbestimmung einzutreten. In den 90er Jahren kam die Idee einer vereinfachten Sprache zu uns nach Deutschland und 2001 wurde Mensch zuerst – Netzwerk People First Deutschland gegründet. Seit 2006 gibt es das Netzwerk Leichte Sprache, heute ein eingetragener Verein, der in Berlin ansässig ist. Dieser Verein ist ein wichtiger Multiplikator bei der Verbreitung des Regelwerks respektive den Interessen der Betroffenen.

Deutschland und die Welt: Übersetzungen für mehr Teilhabe

Dem Behindertengleichstellungsgesetz (§11) nach sind Träger öffentlicher Gewalt dazu verpflichtet, Informationen zunehmend auch in Leichter Sprache anzubieten. Konkret bedeutet das, Ämter und Behörden wie etwa die Bundesagentur für Arbeit oder die Deutsche Rentenversicherung sind angehalten, Veröffentlichungen auch in der Übersetzung anzubieten. Viele Firmen und Museen publizieren ihre Imagebroschüren mittlerweile auch in Leichter Sprache. Neben Deutschland und den USA haben viele andere Länder wie Schweden und Großbritannien die Bedeutung der Übersetzungen für den betroffenen Personenkreis erkannt.

Schweden als Vorreiter in Europa

Bereits seit den 80er Jahren erscheint in Schweden wöchentlich eine 8-seitige Zeitung in Leichter Sprache und seit den 90er Jahren existiert ein Verlagsgebäude für Publikationen in die Leichte Sprache. In Deutschland gibt es ein Online-Angebot für Zeitungsartikel in Einfache Sprache: nachrichtenleicht.de, einem Projekt der Fachhochschule Köln, das vom Deutschlandfunk unterstützt wird.

Die wichtigsten Regeln im Überblick

Kurze Sätze: Ein Satz soll aus höchstens 8 Wörtern bestehen.
Jeder Satz soll nur eine Aussage enthalten.
Einfacher Satzbau: Subjekt, Prädikat, Objekt.
Fachwörter sollen vermieden werden. Arbeits-Gruppe statt Workshop.
Keine Synonyme verwenden. Immer den gleichen Ausdruck nutzen.
Keine Passivsätze, Aussagen im Aktiv formulieren.
Für bessere Lesbarkeit lange Wörter trennen: Gleichstellungs-Beauftragte
Verzicht auf Abkürzungen: i. d. R. = in der Regel
Verneinungen vermeiden: Barry Gibb ist nicht hässlich = Barry Gibb ist schön.

Große Schrift und erklärende Bilder gehören ebenso fest zur Leichten Sprache.

Leichte Sprache und Sprachästhetik

Als Übersetzer ist es quasi eine Berufskrankheit Texte vor allem aufgrund ihrer Ästhetik zu beurteilen, denn wir haben uns ja der Sprachpflege verpflichtet. So sind Ausdruck, Stil und Wortschatz etwas, womit wir uns in unserem Berufsalltag ständig beschäftigen. Von diesem Ansatz gilt es zugunsten der Verständlichkeit Abstand zu nehmen. Schließlich geht es nicht darum, was wir für angemessen halten, sondern darum, was für die Zielgruppe verständlich ist. Und das kann eben nur die Zielgruppe beurteilen.

Warum die Prüfung so wichtig ist

Probieren geht über Studieren. Die Regeln für Zahlen, Sätze, Text und Wörter sind zwar schnell gelernt und umgesetzt, das bedeutet aber keineswegs, dass die Texte auch für die Zielgruppe geeignet sind. Deshalb muss jeder Text von Menschen mit Lernschwierigkeiten auf Verständlichkeit geprüft werden. Dabei hat auch jeder Prüfer seine Stärken und Schwächen.

Grammatik- und Orthographieregeln sind verbindlich

Auch wenn die Leichte Sprache bedeutet, Sätze kurzuhalten, Passiv, Futur und Imperfekt zu vermeiden, heißt es nicht, dass Grammatik- und Orthographieregeln außer Kraft getreten sind. Natürlich soll Leichte Sprache einer regelkonformen deutschen Standardsprache entsprechen, schließlich sollen die Anwender kein „falsches Deutsch“ erlernen. So sollen zusammengesetzte Wörter der einfacheren Lesbarkeit mit einem Bindestrich und nicht mittels Mediopunktes, sondern besser durch einen Bindestrich getrennt werden. (Auf Nachfrage beim Institut für Leichte Sprache).

Leichte Sprache und einfache Sprache sind nicht das Gleiche

Obwohl beide Ausdrücke zum Teil synonym verwendet werden, sind es doch zwei verschiedene Sprachkonzepte. Einfache Sprache richtet sich an Menschen, deren Wahrnehmen und Denken keine Einschränkungen aufweist. Der betroffene Personenkreis weist allerdings eine Lese- und beziehungsweise oder Rechtschreibschwäche auf. Für die einfache Sprache gibt es kein festes Regelwerk wie in der Leichten Sprache. Nebensätze sind erlaubt. Fremdwörter sollen aber auch hier vermieden werden.  Ein guter Anhaltspunkt zur Beurteilung des Schwierigkeitsgrades bietet der europäische Referenzrahmen für den Fremdsprachenerwerb. Einfache Sprache entspricht dem Niveau A2-B1, leichte Sprache dem Level A1.

Leichte Sprache ermöglicht ein selbstbestimmtes Leben

Versorgungslücken mit Leichter Sprache existieren in fast allen Lebensbereichen. Zwar sind immer mehr Sachinformationen in Leichter Sprache verfügbar, für die Übersetzung literarischer Texte aber gibt es leider keine öffentlichen (oder privaten) Ressourcen. Natürlich möchten Menschen mit Lernschwierigkeiten oder Personen, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, hin und wieder mit einem Roman entspannen oder unterhalten werden. Es bleibt also zu hoffen, dass der wachsende Übersetzungsbedarf tatsächlich auch realisiert werden kann. Möglicherweise werden wir in unserem Übersetzungsbüro diese Dienstleistung zukünftig anbieten.