Christian Kracht bei der lit.COLOGNE 2025


Zwischen Serverfarmen und Sprachzauber: Der schwerelose Ernst von Air

Ein literarischer Star im Halbdunkel

800 Menschen im Kölner Staatenhaus, gedämpftes Licht, gespannte Stille: Wenn Christian Kracht liest, ist es weniger eine Autorenlesung als ein ästhetisches Ritual. Gekleidet wie ein melancholischer Landlord – gewachste Jacke, feiner Tartan, sorgfältig gesetzter Ernst – schreitet er zur Bühne. Dort liest er mit leiser Stimme aus seinem neuen Roman Air.

Es ist ein Abend der Zwischentöne. Kracht – einst enfant terrible, heute eher literarischer Eremit mit ironischem Ernst – bietet keine große Show. Und doch ist jede Silbe kalkuliert. Zwischen leiser Selbstinszenierung und demonstrativem Understatement entfaltet sich eine Präsenz, die das Publikum fesselt.

Der Roman: Leichtigkeit und metaphysischer Druck

Air – dieser Titel allein schwebt. Er verweist auf Flüchtigkeit, auf etwas, das da ist, aber sich nicht greifen lässt. Und so ist auch der Roman: weniger Handlung als Atmosphäre. Im Zentrum steht Paul, ein Innenarchitekt, der aus leerstehenden Luxusimmobilien spirituell entrückte Räume schafft – ästhetische Rückzugsorte in einer durchökonomisierten Welt.

Ein Auftrag führt ihn nach Norwegen, wo er eine Serverfarm gestalten soll, das physische Herzstück der metaphorischen „Cloud“. Diese digitale Allgegenwart bekommt in Krachts Sprache eine seltsam greifbare Körperlichkeit: Kühlungssysteme, summende Kabel, steriles Licht – ein Tempel des Jetzt, der doch voller Leere ist.

Sprachmagie statt Plot

Kracht schreibt keine Geschichten, er komponiert Texturen. Seine Sätze sind scharf geschliffen, rhythmisch, mit einer ironischen Grandezza, die sich stets selbst beobachtet. Die Figuren in Air sind eher Träger von Ideen als psychologisch tief gezeichnete Charaktere – und genau das ist Programm.

Was auf den ersten Blick wie Kälte wirkt, entpuppt sich beim genauen Hinhören als tiefe Empfindsamkeit. Kracht durchdringt mit präziser Sprache eine Welt, in der sich Kapitalismus und Spiritualität merkwürdig umarmen.

Meint er das ernst?

Eine der meistgestellten Fragen an diesem Abend – offen ausgesprochen oder im Subtext jedes Blickes: Meint Kracht das alles ernst? Seine Ironie, seine Anspielungen, seine fast sakrale Ruhe beim Lesen – ist das Pose oder Pathos?

Die Antwort bleibt aus, und gerade das macht den Reiz aus. Kracht operiert in einem Zwischenreich, in dem jede Bedeutung zugleich ernst und unterlaufen ist. Genau darin liegt sein literarischer Zauber: Er öffnet Räume des Nachdenkens, ohne sie jemals abzuschließen.

Die Cloud als spiritueller Ort

Besonders eindrucksvoll ist Krachts Umgang mit Technologie. Die Serverfarm in Norwegen wird nicht zum kalten Symbol kapitalistischer Datenverwertung – sie wird zum spirituellen Ort, zum Gegenentwurf einer überhitzten Welt. Die Cloud, sonst Inbegriff des Entkörperlichten, bekommt bei Kracht Gewicht, Präsenz, fast schon Sakralität.

Und Paul, dieser scheinbar so entkernte Protagonist, wird in dieser Konfrontation mit der Leere zu einer Projektionsfläche für unser eigenes Bedürfnis nach Sinn.

Die Rezeption: zwischen Verneigung und Zweifel

Die Kritiken zu Air schwanken zwischen Begeisterung und Irritation. Die taz spricht von einem „literarischen Parfüm“, das mehr auf Wirkung als auf Wahrheiten zielt. Der Kölner Stadt-Anzeiger fragt sich, ob Kracht überhaupt noch erreichbar ist, oder ob er längst in seinem kunstvoll errichteten Elfenbeinturm lebt.

Der Deutschlandfunk wiederum erkennt in Air eine tiefgreifende Auseinandersetzung mit der „ästhetischen Bewältigung des Nichts“ – ein Satz, der Kracht vermutlich gefallen würde.

Fazit: Ein Buch wie ein Raum

Air ist kein Roman, der gefallen will. Er fordert. Er verführt. Er bleibt im Raum stehen wie ein Geruch, der sich nicht erklären lässt. Die Lesung bei der lit.COLOGNE zeigt: Kracht ist nicht nur ein Autor, er ist ein Phänomen. Ein Stilist, der an der Grenze von Literatur, Philosophie und Design operiert.

Und so geht man nach Hause – leicht benommen, innerlich vibrierend, ohne ganz genau sagen zu können, was da eigentlich passiert ist. Vielleicht ist das die größte Qualität von Air: Es hinterlässt einen Abdruck, ohne sich festzulegen.